Samstag Abend.
20 Uhr mitteleuropäischer Zeit.
Ein enger, ziemlich kühler Vorraum. Wer will, kann durch ein rundes Fensterchen vereinzelte Schneeflocken durch die Tinte der Nacht irren sehen. Aber die drei Personen, die stumm und konzentriert in der Dunkelheit stehen, interessieren sich gerade nicht sonderlich für das Wetter. Die BLONDE mit dem gelben Schal starrt beharrlich auf die Spitzen ihrer Schlittschuhe. Die BRÜNETTE mit dem blauen Mantel spricht leise und tonlos die immer gleichen Sätze vor sich hin. Der MANN hat sich in die Ecke gedrückt und beschliesst, die Zigarette, die er extra noch in die Manteltasche gesteckt hat, doch nicht zu rauchen.
Wie die beiden Frauen lauscht auch er stumm dem Wirrwarr aus Gesprächsfetzen, Lachern und rückenden Stühlen, das durch die schweren Metalltüren zu ihnen in die Dunkelheit quillt. Die typischen Geräusche eines Publikums, das in ein restlos ausverkauftes Theater strömt. Und die jetzt endlich immer mehr verebben.
Die Einlassmusik schlägt einen letzten Haken und verstummt. Stille.
Die Frauen sehen sich an. "Scheisse", flüstert die mit dem Schal. "Scheisse", flüstert die mit dem Mantel.
Dann stossen sie die Türen auf. Das grelle Licht der Scheinwerfer rast auf sie zu wie ein wildes Tier. Der Mann in der Ecke schliesst geblendet die Augen. Er hört, wie die Frauen lachend und schwatzend auf der Bühne verschwinden. Ein metallisches Klacken sagt ihm endlich, dass sich die Türen wieder geschlossen haben müssen. Er öffnet die Augen. Dunkelheit schwappt kühl und angenehm auf seine Netzhaut.
Zwei Minuten. Etwa. Dann wird er da hinausgehen und, wenn es nach ihm geht, die Vorstellung seines Lebens spielen. Wie immer, wenn er durch eine dieser Türen auf eine dieser Bühnen geht. Er zögert, greift in seinen Mantel, holt die Zigarette hervor und steckt sie an. Er denkt an sein Mädchen. Das jetzt nicht mehr sein Mädchen ist. Das jetzt auf der Tribüne sitzt. Oben links. Und die Luft anhält. Und wahrscheinlich tausend Tode stirbt. Mit der ganzen Verantwortung auf ihren schmalen Schultern. Unwillkürlich muss er lächeln.
Er fragt sich, wie die Liebe das macht. Dass sie ihn ständig an der Nase herumführt und er es ihr trotzdem nicht übelnehmen kann.
Gelächter. Musik. Zehn Sekunden. Er drückt die Zigarette aus und stellt sich ganz nahe an die Türe. Wartet auf den einen Akkord. Noch nicht. Noch nicht.
Jetzt.
Kein Problem. Hat er schon oft getan. Er weiss gar nicht mehr, wie oft.
Melville stösst die Tür auf und geht ins Licht.
12 Februar 2006
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29 Kommentare:
Die Bretter, die die Welt bedeuten... wehe, es gab keine Standing Ovations!
feine schreibe! chapeau.
irgendwie muss ich an eminem in "8 mile" denken. hua! :-))
so war also die premiere. schön. sehr, sehr schön.
(und ein bisschen neid hier ob des gefühls da zwischen zigarette und licht.)
@manu: da geh ich natürlich noch genauer ein, auf den Impact der ganzen Sache. Versprochen:)
@waschsalon: merci bien. :-)
@lightdot: Pünktchen, schön von Dir zu hören. Hab den Film leider noch nicht gesehen, obwohl, gut muss er sein, oder?
@petra: wird gerne entgegengenommen. freu mich, dass Sie sich weiterhin hier rumtreiben. wie gesagt, ich werd natürlich noch mehr erzählen, premierenmässig.
ich bin eine scheiss-egozentrikerin und beziehe den text jetzt mal auf mich. und immer wieder muss ich daran denken... an mein "coming out" (nicht in dem sinne!). wenn ich beim lesen eines textes an mich denke, hast du was gut bei mir. oder in anderen worten: ein großartiger text.
das rumtreiben haben sie sich selbst erschrieben. mit der russischen seele.
das freut mich doch sehr, ally. und das mit mogwai auch.
@petra: ja, die russische seele. wer könnte ihr widerstehen?
Ja, mehr, mehr, mehr...!
Ich bin ehrlich beeindruckt. Starker Text!
macht mich stolz, neo. dafür will ich aber das nächste mal auch namentlich gerügt werden, wenn ich vergesse, beim preisrätsel mitzumachen. ;-) ginge das?
"Er denkt an sein Mädchen. Das jetzt nicht mehr sein Mädchen ist."
das ist zum heulen schön. f***, forget eminem.
Gleich heul ich mit.
Ich frag mich, wie mein Bild hier herkommt...
Ziemlich unfein, so ein Bilderklau.
Thilo Bayer
Hi Thilo.
Wenn Du willst, hau ich das sofort raus, das Bild. Ist über google zu mir gekommen, ohne das ich über die Herkunft Bescheid wusste. Da ich die Bilder nicht kommerziell und lediglich als kleine Symbole für die jeweiligen Texte verwende, bin ich der Quelle auch nicht energisch nachgegangen.
Darf ich's drinbehalten? Wenn du willst, verlinke ich's dafür gerne mit deiner Site. Sonst nehm ich's raus. Klar.
Gruss
Mel
Hi Mel,
aha, Google ist der Verräter... Na denn drin lassen und thilobayer.photopoints.com dazu kleben, dann passt der Lack für mich...
interessehalber: Wie genau hast Du gegoogelt, damit Du auf dieses Bild gestoßen bist?
Grüße, Thilo
Danke Dir, Thilo.
Hab das Foto schon mal mit Deiner Site verlinkt. Soll ich den Link noch auf's Foto schreiben?
Der Suchbegriff, das ist schwierig, weil ich hab lange gesucht. Ich hab mit Begriffen auf Deutsch und Englisch gearbeitet wie: Licht, Bühne, aus dem Dunkel, Scheinwerfer ect. War ne ziemliche Odysee, dein Bild zu finden. :)
Ist ein tolles Bild, by the way.
Gruss
Mel
Wie die Liebe das macht? So wie Heroin oder Crack oder der ganze Scheiß. Wie die's machen, musst du einen Chemiker fragen.
Hehe, burnster. Es gibt eine figur in unserem stück, die vertritt in etwa die gleiche theorie. würdest du sagen, das gilt auch für die langjährige, tiefe liebe? oder nur für den anfang, die verliebtheit und die ersten dopamin-schübe?
Hi Mel,
nö, das passt schon so. danke für das setzen des links. und danke für die blumen ;-)
Thilo
der dank ist ganz auf meiner seite :)
@thilo
sehr klasse bilder auf der seite!
@mel
danke fürs finden.
:-)
keine ursache, pünktchen. wie du siehst, geschehen die wirklich wichtigen dinge im leben ganz von selbst. :)
Ich habe das jetzt anders gelöst, weil es vermutlich zutrifft. Ich erinnere eine entsprechende Bemerkung deinerseits in einem früheren Beitrag.
Ferner gelobe ich Besserung. Wenn die Kommentarspalten allerdings das Ausmaß von Chats annehmen, läßt meine Aufmerksamkeit etwas nach.
Samma wieda guat?
Neo, hilfe:
Was hast du anders gelöst,
an welche Bemerkung erinnerst du und
was gelobst du zu bessern?
:)
Tut mir leid, aber vielleicht will mein Hirn einfach noch nicht so, wie es sollte. Gelobe gleichfalls Besserung. :)
An Melville:
Das gilt für jede Art von glühender Liebe, ob am Start oder unterwegs. Die tiefe ist rationaler, eher wie Wick Medinait!
schlittschuhe? bist du bei "holidays on ice" ? hö? ;)
hehe. nicht ganz. die haben die schlittschuhe schliesslich auch nicht erfunden, oder?
Der Blogger ist eigentlich Schauspieler?
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