19 Dezember 2005

Russische Seele


Also, Freunde, hört mal zu, wenn etwas ein normaler Tag ist, dann kann es gut sein, dass ich bis Mitternacht vor dem Leuchtschirm sitze und so meine Sachen schreibe. Und dann, dann zwinge ich meine Espressomaschine zu einer letzten Heldentat, schnappe mir das Buch, das ich gerade lese und setze mich in die süsse kleine Lounge, die - ist kaum zwei Monate her - ein Schulfreund meinerseits praktischerweise gleich gegenüber aufgemacht hat.

Dort sitze ich dann und lese und seh den Mädels zu, wie sie bei indirekter Beleuchtung die Dinge tun, die Mädels eben so tun, wenn es Abend ist und sie kurz vor Börsenschluss nochmal alles auf eine Karte setzen.

Heute, passt auf, da komme ich nicht zum Lesen. Weil nämlich: Fast leer, und zwei Paare an der Bar, und ich setz mich hin, und die Typen quatschen miteinander, und die Mädels fangen an, mir quer durch den Raum ihre Lieblingssongs zuzurufen, weil sie mich irrtümlicherweise für den DJ halten.

Dann tipselt die Eine mal probeweise rüber zu mir. Russin. Jung. Und ihr müsst wissen, ich kann sie gut leiden, die Russen und dieses Dings, das sie mit der Seele haben, und ihre Schriftsteller und all das. Und diese Russin? Hübsch ist sie, Himmel, und traurige Augen hat sie, und einen Mund aus Marzipan. Und ihre Brüste, lasst mich gar nicht erst von ihren Brüsten reden, die haben mich glatt verstrahlt, da konnten auch die Textilien nichts daran ändern.

Das Gespräch findet auf Englisch mit Euro-Akzent statt.

Sie: Wer bist du denn?
Ich: Mann. Das ist eine komplexe Frage.
Sie: Nee, uff: Dein Name!
Ich: (mein Name)
Sie: Oh, mein Gott, das ist ein russischer Name!

Das ist eigentlich nur bedingt korrekt, aber weil ich ihr in Gedanken schon längst das Höschen über die Wolga-Knie schiebe, nicke ich nur und grinse, als hätte ich mir den Namen eigenhändig gegeben.

Sie: Ich komme aus (gedehnt) Moskau…
Ich: Ich habe in Moskau studiert. Theater.
Sie (reisst die Augen auf): In Moskau! (flüstert) Ich hole meinen Drink!

Sie geht, kehrt aber nochmal um.

Sie (verschwörerisch): Er darf nicht eifersüchtig werden, Achtung!

Ich sehe mir ihn an. Mann Mitte fünfzig, mit blauem Pullover über der Schulter, wie ein Serien-Arzt.

Sie: Er ist Chirurg (Bingo). Berühmt. Er heisst (Brabbelbrabbel)! - Wie heisst Du?

Hm.

Ich wiederhole meinen Namen, und wir spielen die ganze Sache mit der russischen Begeisterung ein zweites Mal durch. Dann geht sie ihren Drink holen und tappelt ein paar Anstandsminuten um ihren Mann herum.

***
Licht an: Kurze Pause. Erdnüsse! Schokolade! Zigaretten! Licht wieder aus.
***

Sie kommt zurück.

Sie: Du warst in Moskau. Warum?

Ich erkläre es noch Mal. Wir sprechen über Dostojewskji (leidenschaftlich, zerrissen, anders als Chechov), dann sagt sie:

Sie: Ich bin so einsam hier. - Er ist ein Star. Aber ich? Ein Haustier.
Ich: Tut mir leid, das zu hören.
Sie (flüstert): Gib mir deine Karte.
Ich: Ich habe keine Karte.

Sie zieht eine Schnute und sieht mich böse an. Trotzdem legt sie ihre Hand auf mein Bein.

Sie (lasziv): Wo finde ich dich?
Ich: Hier. Oft. Spät.

Reflexartig schiele ich zu ihrem Mann rüber. Habe ich mich gerade mit seiner Frau zu ausserehelichem Sex verabredet?

Als würde er es spüren, schlendert Pullover-Mann jetzt zu uns herüber. Sein Gesicht ist aufgeschwemmt, und er wirkt wie jemand, der nicht lange wünscht, sondern gleich kauft. Fräulein Moskau legt sofort eine andere Platte auf und hängt sich an ihn, als hätte sie keine eigenen Beine, auf denen sie stehen könnte.

Sie (euphorisch): Das ist mein Mann. Ich liebe ihn! Oh, wie ich ihn liebe, usw.!

Der Pullover-Mann und ich sehen uns ihre Vorstellung artig bis zu Ende an.

Ich (vorsichtig): Hallo.
Er (misstrauisch): Hallo. (zu ihr) Komm, wir gehen.
Sie: Das ist… (zu mir) Wie heisst du?

Namen sind wie Kaugummis: Wenn man zu lange auf ihnen herumkaut, verlieren sie den Geschmack. Ich werde nervös. Denn ich frage Euch: Was nützt mir die ganze Verschwörung, wenn sie zu betrunken ist, um sich morgen daran zu erinnern?

Also nochmal: russischer Name, Begeisterung, ect.

Er: Schön. Komm, wir gehen.

Er schlendert zurück zu dem zweiten Paar, das ihn so stürmisch empfängt, als wäre er jahrelang in der sibirischen Tundra verschollen gewesen und gerade erst zurückgekehrt.

Ich: Liebst du ihn?
Sie (verzieht das Gesicht): Njäh! - Aber weisst du: Manchmal muss man sich entscheiden. Zwischen Liebe… und Karriere.

Ich sehe sie an. Die junge Russin, die den alten Sack mit der fetten Kohle geheiratet hat.

Ich: Ich gehe jetzt.
Sie: Du lässt mich einfach hier stehen?
Ich: Heute, ja.
Sie: Aber das nächste Mal nicht?
Ich: Nein. Das nächste Mal nicht.

Ich gehe.

Wetten werden angenommen.

35 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

private russen
sind gute russen.

allerdings: welche frau stellt
ihren mann einem fremden
mit "ich liebe ihn! wie ich ihn liebe!" etc. vor?
vorsicht.

Anonym hat gesagt…

Naja, ein bisschen geheuchelte Liebe muss sie ja für das Geld schon bieten ;)
Zumindest vor Fremden. Gerade vor Fremden...

rotfell hat gesagt…

Ich gönn dir deinen Spaß! Ran an den Speck, wenn du noch eine Chance bei ihr bekommst.

Nur wäre ich direkt nach dem Sex an deiner Stelle nicht zu sehr enttäuscht, wenn sie fragt: "Wie heißt du nochmal?" :)

die_lou hat gesagt…

ein chirurg. hm. vielleicht noch ein plastischer?
nicht dass du eines morgens dich selbst nicht wieder erkennst...
oder sie machen gemeinsame sache, verkaufen deine innereien an die russische organ-mafia.
argh.
nur negative assoziationen zu russischen chirurgen.
aber hey, lass dir deinen spass bloss nicht verderben ;)

Melville hat gesagt…

@500beine: Ich überleg grade: Was ist eigentlich das Gegenteil von privaten Russen?

Und ja, rotfell, genau so hab ich mir das auch vorgestellt. Ich glaube aber, die ist nur so, wenn sie stockbetrunken ist.

was den chirurgen angeht, lou, das war kein russe, sondern ein einheimischer. spezialität: wirbelsäule.

rotfell hat gesagt…

Holla, das Bild ist neu und herrlich schockierend.

Melville hat gesagt…

Tschuldig rotfell, schon wieder weg. ich hab diesen fimmel mit bild-hochladen-und-nochmal-ein-anderes-probieren.

kann aber die Website der Fotografin empfehlen. (via 1+1=1)

Oles wirre Welt hat gesagt…

Die Welt wäre viel reicher, hießen mehr Menschen Brabbelbrabbel. :)

rotfell hat gesagt…

Für mich ist die empfohlene Seite zu hart an der Grenze...
aber das Bild fand ich cool.

Auch wenn ich es nicht auf der Homepage gefunden habe trotz Durchklicken

lightdot hat gesagt…

chirurg? spezialgebiet wirbelsäule?
hm.
da bekommt der spruch "ich brech dir das genick" schon eine gewichtige bedeutung. dafür müssen die brüste mit tschernobyl-stärke strahlen, um das zu riskieren.
ich drück die daumen. halt uns auf dem laufenden. :-)

1 hat gesagt…

ich wette nix, ich glaub nämlich es liegt alles an ihnen! Kann mich diesbezüglich nur den anderen anschließen...

Melville hat gesagt…

Typisch. Jetzt bleibt's wieder mal an mir hängen.

Phonebitch hat gesagt…

Ich tippe auf 1 Monat dann hast du sie flachgelegt. Hoffe ich zumindest mal. Oder würdest du nein sagen?

Anonym hat gesagt…

das ist eine schöne, aber traurige geschichte. russische seelen sind zerstörerisch, aber wenn sie zerbrechen, dann richtig. pass auf.

Anonym hat gesagt…

Sie werden nicht umhin kommen mir diesen
Laden mal zu zeigen.

Die russin steht vor UNS, ich denke mir auch einen
russischen namen aus - und während Sie mit Blickkontakt konversieren
pieckse ich ihr ins Popöchen. Der spitze schrei lockt
natürlich Pulloverovski an- der von Ihnen Satisfaktion fordert.
Nachdem ich mich pro forma als Sekundant anbiete
und Pulloverovski ablehnt, lege ich die beiden mitgeführten
Opinel-Messer neben die Flasche Vodka, damit ihr entscheiden
könnt ob´s Blut oder Kartoffelwasser sein soll...

...GunstderStunderegierung zieht dann mit der Langbeinova
ab und efreut sich bis ans Ende der Tage an selbigen und allem
was dazwischen liegt. Und an der Kohle. Schliesslich werfen Sie
ihn ja mit Herzstich in die Wolga.

- Wann?Wo?regierung.

Melville hat gesagt…

@call me: kann ich nicht genau sagen. hat mit zwei dingen was zu tun: abendform und, worauf allyklein so treffend anspielte, die stimme meines einfühlungsvermögens (geerbt). wenn ich das gefühl habe, ich richte schaden an, emotionstechnisch, lasse ich's lieber bleiben.

so, und nun zu ihnen, SatisfaktionsRegierung: den laden zeige ich ihnen gern, kommen sie einfach mal vorbei. wenn ich das allerdings richtig sehe, stellen sie sich das so vor: pullover-mann und ich sterben in einer solidarischen blutlache unter der alten eiche, während sie mit lolita in den sonnenuntergang tanzen? ha. weihnachten macht sie ja ganz wuschig, ich muss schon sagen.

aber wer weiss: vielleicht wäre es das beste für alle beteiligten?

Anonym hat gesagt…

Genau.

Seien Sie doch bitte so nett und
übergeben Sie mir vorher den Wohnungsschlüssel,
damit ich Ruskiannova dann stehenden Fußes
über den Schmerz des Verlustes hinwegtrösten kann.

..und legen sie noch etwas Koks auf den Nachttisch.

Danke.

- TooGrosszügigregierung

Melville hat gesagt…

*lol* genau so soll es sein!
KapitulationsVille

lightdot hat gesagt…

da ist was weg, was vorher da war, deshalb hier der kommentar zu:

"melville muss man sehen"

---> "lichtpunkt gönn' ich mir"

;-))

Melville hat gesagt…

Hey, Pünktchen, hab mal mit dem rumexperimentiert und irrtümlich gepostet. Aber nur 5 Sekunden. Du warst also ganz schön fix, verdammich <:)

lightdot hat gesagt…

hehe, wenn ich an etwas glaube, dann ist das telepathie. gut, da wären noch vielleicht 2-3 andere unwichtige dinge. aber telepathie. jahaaaa *zungenschnalz*

ach ja: nein, so spät solltest du nichts mehr essen.

;-))))

Mone hat gesagt…

Oh das wäre jetzt perfektes Timing,
Weihnachtszeit, Weihnachtsdüfte, das gute Buch gelesen, gelümmelt, getrunken, Feuer im Kamin...
Ich wünsche Dir viel Glück ;)

Anonym hat gesagt…

Die junge Russin, die den alten Sack mit der fetten Kohle geheiratet hat...

Und sie hängt sich an Dich ran, weil Du ein so wichtiger Mann bist das Du nicht mal eine Karte dabei hast.(denkt sie)
Sieht sie denn wirklich so gut aus, das Du das willst? :o)

Melville hat gesagt…

@mone: danke für das glück. muss allerdings gestehen, dass ich keinen kamin besitze.

@clavinca: ich denke, sie war zu betrunken, um noch zu begreifen, was sie tat. deshalb wird das ganze vermutlich eine geschichte bleiben. an der wichtigkeit kann's nicht liegen: den wichtigen mann hat sie ja schon. also lag's natürlich an, na? na? am sexappeal, of course. mann mit buch und zigarette im mundwinkel. da kann die russische seele nicht widerstehen.
mit sowas hat lenin die revolution gewonnen.

Anonym hat gesagt…

Herr Melville,

ich bekomme immer mehr den Eindruck,
dass wir beide uns zwecks Weltherrschafterringung
zusammentun sollten :-)

- Deal?regierung.

Melville hat gesagt…

Unbedingt, FusionsRegierung,

als erstes führen wir ein Harem für hohe Regierungsmitglieder ein. Natürlich ausschliesslich Jungfrauen, in Honig getunkt und mit Nüssen beworfen.

Sollten Sie allergisch gegen Nüsse sein, nehmen wir Bananenstückchen.

Zweitens: Alle Untertanen müssen zwangsbloggen. Langweilige Blogger werden einmal ermahnt, dann guillontiniert.

Was glauben Sie, wie lustig das wird.

RobespierreVille

zulu hat gesagt…

wunderschön geschrieben :-)

Melville hat gesagt…

Thx, Zulubaby, Sir :))

Mone hat gesagt…

Rauchte Lenin wirklich Zigaretten?
Bis jetzt war er mir nur als Zigarrenraucher bekannt. :-?

Melville hat gesagt…

Ehrlich gesagt: habe ich einfach mal so behauptet, ins Blaue. Werd mal schnell recherchieren, Moment…

***

Aha. Finde folgendes, nicht gesichertes Zitat von ihm:
"Raucher haben einen verdorbenen Charakter".
Also, vermutlich haste ganz recht:)

Lillian hat gesagt…

Schön, Mel.

Zu Russinnen hab ich ja meine eigene Theorie. Nach der hast du sie ziemlich bald im Bett. Enjoy :)

Anonym hat gesagt…

Soso, russische Frauen sind also leicht ins Bett zu kriegen? Das muss ich mir merken. Als quasi Russe - eigentlich Moldawier, aber Nikita Sergejewitsch Chruschtschow hat uns immer sehr gemocht - kann ich diese Theorie kaum bestaetigen. Im Uebrigen koennen in Russland nicht nur die Maenner viel trinken, sondern auch die Frauen. Ein paar deutsche Autorenbuben, die nur Bier gewoehnt sind, trinkt eine langbeinige Blondine jedenfalls ohne Probleme unter den Tisch. Nimm das ruhig als Warnung, Mel. Ach, und ich wuerde erfolgreiche, reiche Chirurgen nicht unterschaetzen. Das sind die schlimmsten ...

Mone hat gesagt…

Hi Mel, bin gerade über besagtes Buch gestolpert. Leider nicht in english, hab trotzdem gleich angefangen zu Lesen. Bis jetzt, nur ca. 70 Seiten :( aber ich bin gefesselt :))
Ach wie kommt mir das Krank sein recht, wo ich zwar Schmerzen (körperlich) leide, aber an Wochentagen die besinnliche Ruhe genieße, weil Kinder in der Schule und ich in aller Ruhe Lesen kann.
PS: Wenn auch zeitweiße egoistisch bin ich doch keine Rabenmutter :)
Kids first, to little time for myself... That's Life.
All good wishes for 2006, Mone

Anonym hat gesagt…

Noch ein später Kommentar:

Wow. Liest sich ziemlich flüssig, die Geschichte. Hast in diesem Moment einen neuen Leser gewonnen. Zum Glück sparst du hier mit GROSSBUCHSTABEN.

Gruß ... jesse

Anonym hat gesagt…

ja, dank jesse sinds nun sogar schon mindestens zwei.. Geil. ähm, also, gut, sehr gut ;-)