03 Januar 2007

Der Soldat

Macht das Licht aus. Schliesst die Augen. Denn im Dunkeln beginnen die Gedanken sanft zu schimmern und gehen ihren eigenen Gang.

Seht ihr den Soldaten? Es ist Nacht, und er schleicht durch den Wald. Er hat den Anschluss an seinen Haufen verloren, und jetzt brennt sich das Weisse seiner Augen ängstlich durch die Dunkelheit, denn die Welt um ihn ist ein einziger gefährlicher Schatten: Raschelnd, flüsternd, wartend. Oft verharrt er minutenlang bewegungslos und lauscht, bevor er weitergeht.

So schiebt sich der Soldat durch das raunende Nichts und verschmilzt mit der Nacht. Manchmal, wenn er mit äusserster Vorsicht einen Zweig beiseite drückt, erreicht ihn ein Geruch von Blatt und altem Holz. Oder ein flüchtiger Gedanke streift ihn und verschwindet geräuschlos in der Dunkelheit. Wie lange er schon so geht, weiss er nicht. Und als er es plötzlich sieht, direkt vor ihm, durch die Zweige schimmernd wie ein entfernter Stern, wischt er sich ungläubig die Augen. Denn Hoffnung ist ein Gift, das er sich jetzt nicht leisten kann. Aber das Licht ist da, und mit ihm die Gewissheit, dass er es geschafft hat.

Die Schwere der Nacht fällt vom Soldaten ab, und sein nächster Schritt ist entschlossen und schnell.

Unter seinem Fuss macht etwas: KLICK.

Dann ist es wieder still und nur der Wald, der sich im Nachtwind räkelt, und nur das trockene Laub, das knistert. Irgendwo nagt ein Waldtier an einer Rinde, und die Wolken kreuzen still das Mondlicht, als wäre nichts geschehen.

Aber den Soldaten verwandelt das leise Geräusch in ein Meer aus Bewegungslosigkeit. Alles in ihm bleibt stehen und wird still, so still wie die Bombe, die unter seinem Fuss schläft, und die er nicht wecken darf. Er rührt sich nicht. Er atmet nicht. Er blinzelt nicht. Wozu auch? Nichts bleibt ihm mehr zu tun. Nichts, als zu stehen, und stehen zu bleiben.

So streicht die Zeit durch den Wald und über das Gesicht des Soldaten. Aber in ihm ist auch sie stehen geblieben, wie er selbst, und hat ihr Ende erreicht. Das kleine Geräusch hat eine Lücke aufgetan, eine kleine Lücke zwischen Leben und Tod, und ihn hineingesetzt wie einen Zinnsoldaten. Hier steht er, und hier wird er immer stehen. Wie die Bäume und die Schatten um ihn herum.

Und so wird der Soldat ein Teil des Waldes, des Flüsterns und des Raschelns. Er blickt in das Licht, das durch die Zweige funkelt. Für ihn genauso fern wie jeder andere Stern am Himmel auch.

Der Soldat schliesst die Augen. Im Dunkeln beginnen seine Gedanken sanft zu schimmern und gehen ihren eigenen Gang.

14 Kommentare:

Petra hat gesagt…

ach, ich wusste es. die frage nach der decke war wieder einer dieser 'komm, schau'-kommentare. ich kam, ich schaute und sah, das es gut war/ist. wie immer. und wie schön -- die geschlossenen augen, die schimmernden gedanken mit eigenem gang. ich mag ja meine decke.

Sophiemotion hat gesagt…

ich mach es kurz: das ist kunst.

dein design, und deine schreibweise beindrucken mich wirklich sehr, hier werde ich nun wohl öfters reinschauen.

es grüsset

sophie

Melville hat gesagt…

ja, petra, ich sehe vor mir, wie du dich nach der decke streckst. ansonsten hast du natürlich recht und mich völlig durchschaut.

und oh, sophie, wow, und danke, und wilkommen im blog. fühl dich wie zu hause, nimm dir n kaffe, und pass auf, der rote stuhl wackelt ein bisschen.

Anonym hat gesagt…

chapeau !!!

Sophiemotion hat gesagt…

danke. das macht nicht's ich bin an nicht ganz intaktes mobiliar gewohnt=)eins täte mich trotzdem interessieren: wo lernt man so schreiben?!=)

Melville hat gesagt…

kein problem, sophie. einfach dem instinkt folgen und einen fuss vor den anderen setzen. :)

Sophiemotion hat gesagt…

mach ich, nur gewöhne ich mich nur ungern an die tatsache,dass es unzählige kleine schritte sind, die mich ans ziel bringen werden.

Melville hat gesagt…

die kleinen schritte. sie sind das grosse geheimnis. wer kleine schritte machen kann, braucht nicht an den grossen zu scheitern.

Sophiemotion hat gesagt…

und wieder was dazugelernt=)
nein ich habe mir fest vorgenommen, mir zeit zu lassen. ich bin ja noch jung=)

Anonym hat gesagt…

Lieber Melville, bei dir lohnt sich jeder Besuch und dafür danke ich dir.

"wer kleine schritte machen kann, braucht nicht an den grossen zu scheitern." An den Satz sollte ich mich ab und zu mal halten.

Melville hat gesagt…

ey patsy, happy new year!

Anonym hat gesagt…

wow. *gänsehaut*

Melville hat gesagt…

ronaldo, zuviel der ehre, und ich freu mich natürlich trotzdem drüber.:)

und hi, samira *mal unter die warme dusche stell*

Anonym hat gesagt…

Schön getextet; insbesondere hat mich der nächtliche Gang durch den Wald an meine (lang zurückliegende) zeit bei der Bundeswehr (W15) erinnert, während der ich eben öfters nachts im Wald (auch allein) unterwegs war.

Gott sei Dank ohne Klick ;-)