
Umpf. Auf den Wecker geht es mir, dieses Wetter. Und die vielen kleinen Erledigungen, die ich morgen machen muss. Wie fieselige schwarze Insekten zischen die durch den Samstag. Dann könnt ihr den Melville sehen, wie er sich durch die Raver-Massen in Zürich-City zwängt und von Laden zu Laden tingelt.
Warum? Schon besser. Weil ich am Montag auf die Insel fliege. Jawoll. Zu meinem Vater. Und der will so lauter kleinen Schnickschnack, den er dort nicht kriegt. Gekauft. Bekommt er. Ist schliesslich mein Lieblings-Vanille-Sahneschnittchen-Vater. Wenn der ne Mettwurst will, soll er sie haben, und wer was dagegen hat, kriegt eins auf die Nase.
Der lebt da nämlich, auf der Insel. Dort malt er und hat auch sonst viel zu tun. Aber Ihr könntet den Mann auch in eine Keksschachtel sperren. Der hätte immer noch viel zu tun. Irgendwie würde er das schon hinkriegen.
Ausserdem riecht er gut. Fand ich schon immer. Was soll ich lange reden: Die Lieben meines Lebens kann ich an fünf Fingern abzählen.
Mit ihm fange ich an.
Die Empörung ist seit jeher das Werkzeug des Heuchlers. Sie ermöglicht ihm, opportune Moralvorstellungen zu instrumentalisieren, um sein persönliches Streben nach Macht und Bedeutung zu verwirklichen - und im gleichen Atemzug zu verschleiern, indem er seine mörderische Aggression als Aufruhr des Herzens tarnt. Vordergründig auf Seiten des Richtigen, ist der Empörte seinem Wesen nach nichts anderes als ein Volksverhetzer, der im Namen der Menschlichkeit und guten Sitten zur Lynchjustitz aufruft.
Der Heuchler erfährt im Moment der Empörung ein Gefühl der Reinheit, die ihm die Illusion von Überlegenheit und Stärke vermittelt und so ermöglicht, die Verachtung zu verdrängen, die er insgeheim für sich und seine Bedeutungslosigkeit empfindet. Da die Moral das Werkzeug der Macht ist und der Heuchler auf die Moral - als Basis seiner Entrüstung - unbedingt angewiesen ist, ist er ein ergebener Diener der Repression und ihren Gesetzmässigkeiten vollkommen unterworfen.
Er ist ein Sklave der Macht. Er denunziert, um sich unter dem Tisch seiner Herrin einen besseren Platz zu ergattern.
Wir brauchen also nur einen Blick unter den Tisch zu werfen: Journalisten, Chef-Redakteure, Feuilletonisten, Literatur-Kritiker, Künstler und Autoren. Allesamt Humanisten, alle per Definiton dem freien Geist, der unabhängigen Meinungsbildung und somit der Methode des schwebenden Urteils verpflichtet, die, immerhin laut Bertrand Russel, die grösste Entdeckung des 20. Jahrhunderts war. Seht genau hin. Ihren Eifer. Ihr Kopfschütteln. Ihr erschüttertes moralisches Grundempfinden.
Das wirklich Erhellende an der Affaire ist nicht, dass Grass in der SS war. Das wirklich Erhellende an der Affaire balgt sich jetzt gerade unter dem Tisch um den grössten Happen.